Literatur
- 1 Platner E.
De amentia occulta (1797). In: Neumann CG Opuscula Academica sive collectio quaestionum medicinae forensis,
psychicae, publicae aliarumque, quas auctor per quinquaginta annos academico more
tractavit. Berlin; Flittner 1824: 5-12
- 2 Reuchlein G. Das Problem der Zurechnungsfähigkeit bei E. T. A. Hoffmann und Georg
Büchner. Zum Verhältnis von Literatur, Psychiatrie und Justiz im frühen 19. Jahrhundert. Frankfurt,
Bern, New York; Lang 1985
- 3 Metzger J D.
Beweis, dass es den Aerzten allein zukomme, über Wahnsinn und Verstandeszerrüttung
zu urtheilen. In: Metzger JD Neue vermischte medicinische Schriften. Königsberg; Goebbels und Unzer
1800: 36-67
- 4 Henke A. Lehrbuch der gerichtlichen Medicin. 13 ed. Berlin; Dümmler 1859
- 5 Schürmayer J H. Lehrbuch der Gerichtlichen Medicin. Erlangen; Enke 1854
- 6 Friedreich J B. Historisch-kritische Darstellung der Theorien über das Wesen und
den Sitz der psychischen Krankheiten. Leipzig; Wigand 1836
- 7
Steinberg H, Schmideler S.
Nach 180 Jahren wieder entdeckt: Das Gutachten der Medizinischen Fakultät der Universität
Leipzig zum Fall Woyzeck.
Nervenarzt.
2005;
76
626-632
- 8
Steinberg H, Schmideler S.
War Woyzeck tatsächlich schizophren - oder redete ihm die Verteidigung eine Schizophrenie
nur ein?.
Jahresheft für forensische Psychiatrie.
2006;
3
71-115
- 9
Steinberg H, Schmidt-Recla A, Schmideler S.
Forensic psychiatry in nineteenth-century saxony: the case of woyzeck.
Harv Rev Psychiatry.
2007;
15
169-180
- 10
Haack K, Kumbier E.
Carl Wilhelm Ideler (1795 - 1864). Einführung in Leben und Werk.
Nervenarzt.
2004;
75
1136-1138
- 11
Ideler C W.
Ueber die Amentia occulta.
Archiv für Preußisches Strafrecht.
1856;
4
304-316
- 12 Casper J L. Practisches Handbuch der gerichtlichen Medicin. Biologischer Theil. Berlin;
Hirschwald 1858
- 13 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Teil II, 20. Titel, § 16 vom
5. Februar 1794.
- 14
Bode .
Vertheidigungsschrift zweiter Instanz für den Tabackspinnergesellen Daniel Schmolling
welcher seine Geliebte ohne eine erkennbare Causa facinoris ermordete.
Zeitschrift für die Criminal-Rechts-Pflege in den preussischen Staaten mit Ausschluss
der Rheinprovinzen mit Genehmigung und Unterstützung des Königlichen Justizministerii
und aus amtlichen Quellen.
1825;
1
261-376
- 15 Horn E. Gutachten über den Gemüthszustand des Tobackspinnergesellen Daniel Schmolling
welcher den 25ten September 1817 seine Geliebte tödtete. Archiv für medizinische Erfahrung
im Gebiete der praktischen Medizin, Chirurgie, Geburtshülfe und Staatsarzneikunde
1820: 292-367
- 16 Pinel P. Philosophisch-medicinische Abhandlung über Geistesverwirrung oder Manie.
Mit Kupfertafeln, welche die Form einiger Schedel, und die Abbildungen einiger Wahnsinnigen
darstellen. Aus dem Französischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Mich.
Wagner. Wien; Schaumburg und Compagnie 1801
- 17
Heinroth J CA.
Ueber das falsche ärztliche Verfahren bei criminal-gerichtlichen Untersuchungen zweifelhafter
Gemüthszustände. Wissenschaftlich begründet und in Beispielen aus der gegenwärtigen
Zeitschrift nachgewiesen.
Zeitschrift für die Criminal-Rechts-Pflege in den preussischen Staaten mit Ausschluss
der Rheinprovinzen mit Genehmigung und Unterstützung des Königlichen Justizministerii
und aus amtlichen Quellen.
1828;
8
145-180
- 18 Heinroth J CA. Lehrbuch der Störungen des Seelenlebens oder der Seelenstörungen
und ihrer Behandlung. Leipzig; Vogel 1818
- 19 Goydke J.
E.T.A./W. Hoffmann als Jurist. In: Kilian M Jenseits von Bologna - Jurisprudentia literarisch. Berlin; BWV 2006:
19-58
- 20 Segebrecht W.
Krankheit und Gesellschaft. Zu E. T. A. Hoffmanns Rezeption der Bamberger Medizin. In: Brinkmann R Romantik in Deutschland. Stuttgart; Metzler 1978: 267-290
- 21 Schnapp F. E. T. A. Hofmann - Juristische Arbeiten. München; Winkler 1973
- 22
Prinz W.
Der Mensch ist nicht frei.
Das Magazin.
2003;
2
18-20
- 23
Markowitsch H J.
Warum wir keinen freien Willen haben. Der sogenannte freie Wille aus Sicht der Hirnforschung.
Psychologische Rundschau.
2004;
4
163-168
- 24 Singer W. Ein neues Menschenbild? Gespräche über Hirnforschung. 4 ed. Frankfurt;
Suhrkamp 2006
- 25 Roth G, Grün K-J. Das Gehirn und seine Freiheit. Beiträge zur neurowissenschaftlichen
Grundlegung der Philosophie. Göttingen; Vandenhoeck 2006
- 26
Könnecker C.
Reparaturanstalt für verletzte Normen.
Gehirn und Geist.
2006;
5
30-33
- 27 Bieri P. Das Handwerk der Freiheit. 4 ed. Frankfurt; Fischer 2005
- 28 Pauen M. Illusion Freiheit? Mögliche und unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung.
2 ed. Frankfurt; Fischer 2005
- 29 Fink H, Rosenzweig R. Freier Wille - frommer Wunsch? Gehirn und Willensfreiheit. Paderborn;
mentis 2006
- 30 Kant I. Kritik der reinen Vernunft. Hamburg; Meiner 2003
- 31 Fels H. Der Strafprozeß der Preussischen Criminal-Ordnung von 1805. Univ.-Diss. Urach;
Bühler 1932
- 32
Hitzig J E.
Nachträge, Debatten, Berichtigungen u. s. w. - Der Mörder Daniel Schmolling, sein
zweites Verbrechen und seine letzten Stunden.
Zeitschrift für die Criminal-Rechts-Pflege in den preussischen Staaten mit Ausschluss
der Rheinprovinzen mit Genehmigung und Unterstützung des Königlichen Justizministerii
und aus amtlichen Quellen.
1828;
9
189-242
- 33 Clarus J. Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck nach Grundsätzen
der Staatsarzneikunde aktenmäßig erwiesen. Leipzig; Fleischer 1824
- 34 Marc C. War der am 27ten August 1824 zu Leipzig hingerichtete Mörder Johann Christian
Woyzeck zurechnungsfähig?. Bamberg; Dresch 1825
- 35
Steinberg H.
Die Errichtung des ersten psychiatrischen Lehrstuhls: Johann Christian August Heinroth
in Leipzig.
Nervenarzt.
2004;
75
303-307
- 36 Heinroth J. Ueber die gegen das Gutachten des Herrn Hofrath D. Clarus von Herrn
D. C. M. Marc in Bamberg abgefasste Schrift: War der am 27. August 1824 zu Leipzig
hingerichtete Mörder J. C. Woyzeck zurechnungsfähig?. Leipzig; Hartmann 1825
- 37
Friedreich J B.
Die Lehre von der mania sine delirio.
Wissenschaftliche Annalen der gesammten Heilkunde.
1834;
29
1-55
- 38 Leven K-H.
Krankheiten - historische Deutung versus retrospektive Diagnostik. In: Paul N, Schlich T Medizingeschichte: Aufgaben, Probleme, Perspektiven. Frankfurt,
New York; Campus 1998: 153-185
- 39 Hoffbauer J H. Die Psychologie in ihren Hauptanwendungen auf die Rechtspflege nach
den allgemeinen Gesichtspuncten der Gesetzgebung oder die sogenannte gerichtliche
Arzneywissenschaft nach ihrem psychologischen Theile. Halle; Schimmelpfennig 1808
- 40 Reil J C. Ueber die Erkenntniss und Kur der Fieber, Bd. IV: Besondere Fieberlehre:
Nervenkrankheiten. 3 ed. Halle; Curt 1823
- 41
Haack K, Herpertz S, Kumbier E.
Der „Fall Sefeloge” - Ein Beitrag zur Geschichte der forensischen Psychiatrie.
Nervenarzt.
2007;
78
586-593
- 42 Haack K, Kumbier E.
Heinrich Damerows kritische Auseinandersetzung mit der Lehre von den Monomanien. In: Bock WJ, Holdorff B Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Geschichte
der Nervenheilkunde. Würzburg; Könighausen und Neumann 2007: 173-191
1 Erst seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert lässt sich ein verstärktes öffentliches
Interesse gegenüber deviantem Verhalten feststellen. Dementsprechend kam es neben
einer künstlerischen, vor allem literarischen Auseinandersetzung verstärkt zu einer
wissenschaftlichen Erörterung einer solchen Problematik. Fallstudien durchzogen die
kriminologische, psychologische, juristische und medizinische Literatur.
2 Über den Stadtphysikus Merzdorff fanden sich bisher keine näheren Angaben.
3 Eine detaillierte Herausarbeitung der kleinen, aber doch vorhandenen Divergenzen
soll nicht Thema dieser Arbeit sein und bleibt einer künftigen Studie vorbehalten.
4 Dieses Zitat zeigt noch einmal deutlich, dass sich die Kritik vor allem auf das Merkmal
des gänzlich Versteckten, nicht Erkennbaren des Wahnsinns bezog, denn im Gegensatz
zur amentia occulta erkannte Heinroth die von Pinel beschriebene manie sans déliere
an. Er bezeichnete sie sogar als reine Tollheit (mania simplex) mit dem Charakter
der „Unfreyheit mit wildem Zerstörungstriebe. Der Kranke ist sich seiner bewußt, handelt
nicht aus verkehrten Begriffen, oder aus Leidenschaftlichkeit des Gemüths …, sondern
aus einem blinden Triebe zum Zerstören, den er nicht bewältigen kann. Pinel hat das
Verdienst, diese reine Form, als solche, zuerst aufgestellt zu haben …” ([18], S. 316).
5 Hoffmann hatte, nachdem er mehrere Jahre versucht hatte, seinen Lebensunterhalt als
Kapellmeister, Komponist und Schriftsteller zu verdienen, 1814 eine Stelle als Hilfsarbeiter
im Kriminalsenat des Kammergerichts Berlin angenommen. Bis zu seinem Tod 1822 arbeitete
er dort, ab 1816 als Vorsitzender Rat, ab 1821 als Mitglied des Oberappellationssenats.
Seine juristische Tätigkeit war sehr anerkannt, er nahm im Kriminalsenat, so der Jahresbericht
von 1817, „würdig den ersten Platz ein” (zit. nach [19]). Zu Hoffmanns juristischer Arbeit und seinem medizinischen Wissen vgl. [2]
[19]
[20]. Das juristische Gutachten über Daniel Schmolling geht zu etwa drei Viertel auf
Hoffmann zurück.
6 Die Erkenntnisse der Neuro- und Kognitionswissenschaften haben in den letzten Jahren
zu erheblichen Bedenken gegenüber der Willensfreiheit geführt. So haben vor allem
Prinz, Markowitsch, Singer und Roth darauf verwiesen, dass tradierte Vorstellungen
vom freien Willen mit den empirischen Wissenschaften nicht mehr vereinbar seien [22]
[23]
[24]
[25]. Die Konsequenzen vor allem für die strafrechtliche Praxis wären enorm, denn ohne
Anerkennung des freien Willens und damit der Handlungsfreiheit gäbe es quasi keine
Legitimation für das in der Praxis angewendete Schuldprinzip. Vgl. zur aktuellen Diskussion
von Schuld und freiem Willen [26]
[27]
[28]
[29].
7 Dem Kriminalsenat und Oberappellationssenat, die für den Fall Schmolling zuständigen
Behörden am Berliner Kammergericht, waren das Justizministerium und die Krone übergeordnet.
Bei schweren Verbrechen u. a. Tötungsdelikten schrieb §§ 508 der Preußischen Criminalordnung
die Bestätigung durch das Justizministerium vor. Bei Todesstrafen bestimmte § 530
der Preußischen Criminalordnung die zusätzliche Bestätigung durch den König. Dass
sowohl der König als auch das Justizministerium eher gewillt waren, dem Urteil der
Ärzte nachzukommen, wirft ein interessantes Schlaglicht auf den um diese Zeit schwelenden
Kompetenzstreit zwischen Juristen und Medizinern (vgl. [31]).
8 Der Versuch, derartige Krankheitsbeschreibungen heutigen psychischen Erkrankungen
zuzuordnen oder damalige Klassifikationsversuche mit modernen nosologischen Systemen
(ICD-10 oder DSM-IV) zu vergleichen, bereitet wegen der begrifflichen (psychopathologischen)
Unschärfen erhebliche Schwierigkeiten. Einzelne Überreste dieser eher unspezifischen
psychischen Phänomene oder Syndrome finden sich u. a. noch als „Störungen der Impulskontrolle”
in Gestalt des Pathologischen Spielens, Stehlens oder Brandstiftens (Kleptomanie,
Pyromanie). Die zu dieser scheinbar heterogenen Gruppe gehörigen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten
lassen sich andernorts nicht befriedigend einordnen und ob sich die hier aufgeführten
Syndrome überhaupt als eigene, voneinander abgrenzbare Krankheitsbilder einordnen
lassen, ist fraglich. Darin zeigt sich auch heute noch die Problematik der Klassifizierung
in der Psychiatrie. Gemeinsam ist dieser Störungsgruppe allein das Auftreten von unkontrollierbaren
Handlungsimpulsen ohne vernünftige Motivation, denen die Betroffenen nicht widerstehen
können und die nach Vollzug meist zum Schaden für sich und andere führt. Dabei kann
es gleichzeitig zu einer zunehmenden Anspannung und Erregung vor der Handlung und
Erleichterung, Bestätigung oder sogar Lust bei der Handlung kommen. Zum Problem der
retrospektiven Diagnose historischer Krankheitsschilderungen vgl. [38].
Dr. med. Ekkehardt Kumbier
Zentrum für Nervenheilkunde der Universität Rostock, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie
und Psychotherapie
Gehlsheimer Straße 20
18147 Rostock
Email: ekkehardt.kumbier@medizin.uni-rostock.de